"Zla Mavka": Frauen im Widerstand in der Ostukraine

Die ukrainische Widerstandsgruppe Zla Mavka besteht nur aus Frauen – und sie bekämpft die russischen Besatzer mit ungewöhnlichen Mitteln. Eines davon: Abführmittel

Sie können dich begrapschen, sie können dich belästigen – und niemand wird dir helfen, weil alle Angst haben." Mavka, wie sie sich nennt, ist Mitte 20. Sie lacht oft. Und zugleich sagt sie: Sie versuche so grau und unsichtbar und unscheinbar zu sein, wie es nur gehe – draußen auf der Straße. Gelacht wird nur hinter verschlossenen Türen. Denn draußen, da ist die russische besetzte Region Melitopol in der Ukraine. Dort lebt Mavka. Die Region ist seit dem 26. Februar 2022 von russischen Truppen besetzt.

Mavka ist nicht der Name der Frau. Das ist nicht einmal ein wirklicher Frauenname. Denn den zu nennen hätte schwerwiegende Folgen: Festnahme, Folter, Vergewaltigung, vielleicht den Tod.

Mythologische Gestalt

Mavka ist vielmehr eine Figur aus der ukrainischen Mythologie. Eine Art Amazone, Fee oder Geist. Eine weibliche Gestalt, die Männer in den Wald lockt. Mavka ist zugleich ein Charakter aus dem Stück Das Waldlied der ikonisch verehrten ukrainischen Autorin Lessja Ukrajinka (Laryssa Kossatsch) über den Zusammenprall zwischen märchenhafter Naturwelt und menschlichem Alltag.

Und Mavka in Melitopol? Die ist Aktivistin und zugleich Teil des Kollektivs Zla Mavka – das bedeutet so viel wie "Wütende Mavka". Zla Mavka organisieren gewaltlosen Widerstand in ihrer Region.

Zu Beginn waren es nur drei Frauen. Im Frühjahr 2022 war das. Also zu einer Zeit, da es noch Massenprotest gegen die russischen Besatzer gab und diese nur mit Tränengas in die Menge schossen. Wenig später war es bereits scharfe Munition, die in die Menschenmengen knatterte.

Stiller Protest

Mittlerweile ist offener Protest undenkbar. Aus dem Frauenkollektiv ist ein Netzwerk geworden. Man kennt einander nicht persönlich, gibt keine persönlichen Details preis, um einander nicht gegenseitig in Gefahr zu bringen, plant aber gemeinsame Aktionen und führt sie durch.

Es gehe ihnen darum, die Soldaten, die russischen Beamten, den Apparat hinter der russischen Armee und die Besatzungsverwaltung sowie die russischen Siedler, sooft es nur gehe, wissen zu lassen, dass sie hier nicht willkommen sind, sagt Mavka. Das sind mittlerweile viele – denn wenige aus der ursprünglichen Bevölkerung sind geblieben. Mavka schätzt: Rund 60 Prozent der früheren Bewohner der Region seien wohl gegangen.

Untergrundarbeit

Widerstand ist da Untergrundarbeit – mit den damit einhergehenden Risiken in einem System, das keine Widerrede duldet. Russische Besatzung bedeutet Polizeistaat. Russische Besatzung bedeutet Willkür der Herren: der Russen. Russische Besatzung bedeutet Terror. Da reiche es schon, die Muttersprache zu sprechen oder eine ukrainische Telefonnummer eingespeichert zu haben, um Probleme zu bekommen, sagt Mavka. Ihre Muttersprache ist Ukrainisch.

Russische Besatzung bedeutet ein Regime, in dem Russland für sich beansprucht, das Herrensystem zu sein, und in dem Ukrainer die sind, die es zu beherrschen gilt. Überall hätten sie ihre Fahnen angebracht, erzählt Mavka. Sie sagt das mit einem Lachen: "Als ob wir sie wegen all dieser Fahnen weniger hassen würden." Gerade dass das Klopapier nicht die russische Trikolore trage. Aber auch das werde noch kommen, lacht sie resigniert.

Ukrainer unerwünscht

Russische Okkupation bedeutet, dass es ohne russischen Pass keine Arbeit, keine Sozialleistungen, keine humanitäre Hilfe, keine Medikamente und keine Möglichkeit zu Bewegung gibt. Ohne russischen Pass ist kein Durchkommen bei russischen Checkpoints. Für Männer bedeutet ein russischer Pass oft aber auch die Einberufung in die russische Armee. Und was Frauen angehe? Bedrücktes Schweigen. "Da gibt es eben diese vielen, vielen Fälle."

Ganz konkret bedeutet Besatzung für eine Frau wie Mavka, unter Bewaffneten zu leben, die zu viel trinken und sich vor niemanden rechtfertigen müssen. Sie versuche sich eben, in Unscheinbarkeit zu tarnen. Sie habe vergessen, wie es sich anfühle, ein Kleid oder Make-up zu tragen.

Und so vergehen die Tage: "Wir gehen zur Arbeit, wir leben irgendwie unser Leben und versuchen nicht zu zeigen, was wir über sie denken." Denn da ist diese Angst – überall. Und da ist dieses allgemeine, umfassende Misstrauen, da ist Denunziation. So sei wohl der Stalinismus gewesen, sagt sie. "Aber als Aktivistinnen versuchen wir, ihnen so oft wie möglich zu zeigen und zu sagen, was wir von ihnen halten: nämlich nichts."

Russische Gewalt

Wie viele Menschenrechtsaktivisten, politische Aktivisten, Journalisten oder ganz einfach Kritiker und Kritikerinnen in Kellnern, Lagerhallen, Garagen oder Gruben verschwunden sind, ist nicht bekannt. Die, die die russische Haft überlebt haben, berichten von Folter mit Strom, Penetration mit Besenstielen, Schlägen, Scheinexekutionen mit Platzpatronen – und wenn die Gefangenen Frauen sind: Vergewaltigungen. Mavka nennt es so: "All diese Geschichten." Bedrücktes Schweigen.

Währenddessen gehen die Kinder in Schulen, in denen sie ihre Muttersprache nicht sprechen können und eingetrichtert bekommen, dass es die Ukraine, in der sie und ihre Eltern aufgewachsen sind, nie gegeben habe. Unterrichtet von Lehrern und Lehrerinnen, die angehalten scheinen, proukrainische Tendenzen zu wittern. Und dann würden die Zehnjährigen in russische Uniformen gesteckt, bekämen ein Gewehr in die Hand für das Foto fürs Familienalbum. Paradetag heiße das dann.

Zwar gibt es den ukrainischen Fernunterricht über das Internet: Aber wenn man erwischt wird, landen die Eltern in einem Keller und die Kinder in einer russischen Erziehungseinrichtung.

Verkehrte Welt

"Finster, arm und voll von Angst" sei diese russische Welt, sagt Mavka. Voller Müll, Kameras und russischer Fahnen. Da sind die neuen Nachbarn aus Russland. Und da seien die Emporkömmlinge der neuen Herren: "Einst Straßenkehrer und Trunkenbolde, heute Bibliotheksdirektoren."

Eine Welt ist das, in der man Flyer anbringe und Graffitis spraye, die meist schon nach einer Stunde wieder übermalt oder abgerissen seien. Eine Welt ist das, in der man Information außerhalb der russischen Propagandablase nur unter großem Risiko zum Beispiel auf A4-Zettel drucken und in Briefkästen werfen kann.

Aber Zla Mavka mache den Besatzern auch Geschenke. Mavka lacht. Das nenne sich "Mavkas Küche". Die Zutaten: Schnaps und Abführmittel. "Sehr viel Abführmittel", wie Mavka betont. Man mische die Zutaten zusammen, und fertig sei ein Cocktail, der den Soldaten "einen Abend beschert, den sie nicht vergessen werden". Das funktioniere immer. "Sie lieben Schnaps." (Stefan Schocher, 24.2.2024)