An Politiker:innen im Ausland – Gerechtigkeit für ukrainische Arbeiter:innen!

Ukrainische Gewerkschaftsaktivist:innen in Kryvih Rih und Unterstützer:innen verschiedener Initiativen der Zivilgesellschaft haben den nachfolgenden Aufruf an Arbeiter:innen und Aktivist:innen im Ausland verfasst. Er drückt sehr gut die Stimmung und die Wünsche vieler ukrainischer Gewerkschafter:innen und zivilgesellschaftlicher Organisationen aus. Sie richten sich mit klaren Anliegen an ihre Kolleg:innen in anderen Ländern. Weniger als einen Monat vor den Wahlen zum Europäischen Parlament wenden sie sich auch Kandidat:innen, die sich zur Wahl stellen.

Am Vorabend der Wahlen zum Europäischen Parlament appellieren die Gewerkschaftsaktivist:innen in Kryvyi Rih an die Kandidat:innen, die Politiker:innen daran zu erinnern, dass es die Lohnabhängigen sind, die die Hauptlast des Krieges gegen die Aggressionsmacht tragen. Sie sind diejenigen, denen es an Munition fehlt, und es sind ihre Interessen, die an wichtigen Stellen diskutiert werden sollten. Als ukrainische Gewerkschafter:innen sind wir der Meinung, dass das Ignorieren dieser Fakten katastrophale Folgen haben kann. Wir warnen davor, die Unterstützung für die Ukraine als Deckmantel für eigennützige Ziele zu benutzen, wie es bei bestimmten internationalen Eliten üblich ist.

Yuriy Samoilov, Vorsitzender der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft, sagte: „In unseren Familien dreht sich jedes zweite Gespräch um den Krieg, um diejenigen, die derzeit im Einsatz sind, um die Frage, wie man ihnen helfen kann, denn die überwiegende Mehrheit der Mobilisierten sind einfache Arbeiter:innen. Dies ist zur Priorität der Gewerkschaft geworden. Aber gleichzeitig wird das Arbeitsrecht ausgesetzt, die Sozialausgaben werden gekürzt, und die Kinder von Geschäftsleuten und Beamt:innen vergnügen sich im Ausland. Ist das gerecht?“ – fragt Yuriy.

Dem Aufruf haben sich bereits eine Reihe von Aktivist:innen aus Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Studierendenorganisationen in verschiedenen Regionen der Ukraine angeschlossen, die ebenso unzufrieden mit dem mangelnden Interesse an den Problemen der Lohnabhängigen sind. Sie sind überzeugt, dass gemeinsame Anstrengungen der Schlüssel sind, um sich Gehör zu verschaffen. Sie sehen die potenziellen Leser:innen des Aufrufs als Freund:innen der Ukraine und Verbündete der Arbeiter:innen in Europa und auf der ganzen Welt.

Oleksandr Skyba, Vorsitzender der Freien Gewerkschaft der Eisenbahner im Depot Darnytsia, weist darauf hin, dass die Rechte der Lohnabhängigen seit Kriegsbeginn erheblich beschnitten wurden. Er argumentiert, dass die meisten dieser Änderungen die Verteidigungsfähigkeit nicht gestärkt, sondern eher geschwächt haben. „Wenn Unternehmen die Arbeitsbeziehungen und die Bestimmungen von Tarifverträgen willkürlich außer Kraft setzen können, ist das ein schwerer Schlag für die Rolle der Gewerkschaften und die Grundlagen der Demokratie“, erklärt er. Oleksandr unterstreicht sein Vertrauen in die Kraft der Einheit und der gegenseitigen Unterstützung im Kampf und bittet seine ausländischen Genoss:innen um Solidarität.

Brief an die politischen Vertreter:innen der Bevölkerungen in Europa und in der Welt

Angesichts der Tatsache, dass unser Schicksal oft von Ihren Entscheidungen abhängt, möchten wir, ukrainische Gewerkschafter:innen und Aktivist:innen der Zivilgesellschaft, uns direkt an Euch wenden und Folgendes betonen:

Während die internationale Gemeinschaft in Unentschlossenheit verharrt, verstärken die russischen Besatzungstruppen ungeniert ihre Offensive. Unsere Genoss:innen sterben an der Front, sie sind gezwungen, ohne ausreichende Waffenlieferungen zu kämpfen, und in Ermangelung einer angemessenen Luftabwehr werden unsere Kraftwerke, Fabriken und Häuser von verheerenden Angriffen heimgesucht. Mit einer wirklich „unerschütterlichen Unterstützung“ wäre dies nicht unvermeidlich gewesen. Im Moment müssen wir uns dem Aggressor jedoch hauptsächlich allein stellen.

Die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Gesellschaft hängt von den Arbeiter:innen ab, die den Großteil der Streitkräfte stellen und das Funktionieren der Heimatfront in den Bereichen Logistik, Produktion und Instandhaltung kritischer Infrastrukturen gewährleisten. Gleichzeitig gibt es eine immer deutlicher werdende soziale Kluft, bei der öffentliche Güter nur noch für die Elite vorhanden sind und der Rest nur noch Pflichten hat. Dies demoralisiert und bedroht die Verteidigungsfähigkeit des Landes und seine Zukunft. Während wir weiterhin für Peanuts bezahlt werden, Überstunden machen und unter der ständigen Bedrohung leben, auf die Straße gesetzt zu werden, ist unsere Regierung viel mehr mit Deregulierung und der Schaffung günstiger Bedingungen für Unternehmen beschäftigt.

Die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Familien und Freund:innen sind für uns absolute Werte, an denen wir festhalten. Es ist jedoch schmerzlich klar, dass es in der Nachkriegsukraine keine Möglichkeiten für ein menschenwürdiges Leben geben wird, wenn die Lohnabhängigen nicht den nötigen Einfluss erhalten, um ihre Probleme zu lösen. Mit Schrecken stellen wir fest, dass wir wahrscheinlich im Ausland ein besseres Leben suchen müssen, Tag und Nacht arbeiten und gegen gierige Bosse um Hungerlöhne ringen müssen.

Es ist auch kein Geheimnis, dass Eure Eliten die Löhne einfrieren, die Preise erhöhen, den Urlaub streichen und die Sozialausgaben kürzen und dies alles mit der Notwendigkeit rechtfertigen, die Ukraine zu unterstützen, während sie gleichzeitig den für beide Seiten vorteilhaften Handel mit Russland fortsetzen. Euer Geld und Ihre Technologie unterstützen dessen militärische Kapazitäten. Diese Politik ist äußerst gefährlich für die Solidarität und das Vertrauen zwischen unseren Völkern.

Wir wissen, dass wir nur gemeinsam die Demokratie und die soziale Gerechtigkeit gegen die Invasionen der imperialistischen Mächte, den Druck der Diktatoren, die Begierden der Oligarchen und die Demagogie der extremen Rechten verteidigen können.

Deshalb rufen wir Euch dazu auf:

  1. Stoppt die Waffenexporte in Drittländer und gebt der Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine, die jetzt zur Verteidigung notwendig sind, den Vorrang. Unser Krieg darf nicht zum Vorwand für die Profitmacherei von Rüstungsunternehmen und Waffenhändler:innen werden!
  2. Macht es dem Putin-Regime unmöglich, die Sanktionen zu umgehen. Dies erfordert unter anderem die Schließung der zwielichtigen Machenschaften russischer, ukrainischer und anderer Oligarchen. Jede Transaktion und jedes gelieferte Ersatzteil ermöglicht Russland die Fortsetzung des Krieges!
  3. Annulliert die ungerechten Schulden und sorgt dafür, dass euer Geld nicht für unsoziale Experimente in unserem Land ausgegeben wird! Die internationale Unterstützung sollte dazu beitragen, die allgemeine Gesundheitsversorgung und das Bildungswesen wiederherzustellen und zu erweitern, erschwingliche Wohnungen und die öffentliche Infrastruktur wieder aufzubauen und menschenwürdige Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
  4. Knüpft Kontakte zu ukrainischen Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen, setzt euch für ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen ein und besteht auf der Bedeutung von Tarifverhandlungen und Vereinigungsfreiheit! In einem deformierten politischen System ist dies fast die einzige Möglichkeit für die einfachen Menschen, ihre Rechte einzufordern.
  5. Enthüllt den Missbrauch der Solidarität zur Deckung von Eigeninteressen! Konfisziert russisches Vermögen, schließt Offshore-Firmen und besteuert die Superreichen! Stellt euer Volk nicht vor die falsche Wahl, das Schicksal der Ukrainer zu opfern oder den Schwächsten im eigenen Land etwas wegzunehmen!

Referenzen

Verabschiedet auf einem Treffen von Gewerkschafts- und studentischen Aktivist:innen in Kryvbas anlässlich des Internationalen Tages der Arbeit unter dem Vorsitz von Yuriy Samoilov und unter Beteiligung von Vertreter:innen der unabhängigen Gewerkschaften ArcelorMittal Kryvyi Rih, Kryvyi Rih Iron Ore Plant, Metinvest und Rudomine, der Freien Gewerkschaft der Beschäftigten im Gesundheitswesen von Kryvyi Rih, der Freien Gewerkschaft der Lehrenden und Wissenschaftler:innen von Kryvyi Rih, der Studentengewerkschaft Direct Action, der NRO Hexen von Kryvbas, der NRO Spravedlyvist und der NRO Sotsialnyi Rukh (Soziale Bewegung).

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